Ich glaube, ein jeder von uns kennt dieses furchtbare Gefühl. Du wachst morgens auf, noch betört von deinem schönen Traum und innerhalb weniger Sekunden schlägt dir die Realität wie eine Hand aus Stahl direkt in dein Gesicht. Auf kurze Orientierung folgen Fragen wie: „Ist das wirklich passiert?“ oder „Habe ich das wirklich getan?“ Der Schmerz kehrt zurück. Irgendetwas hat dein Leben aus der Bahn geworfen. Eine Trennung, eine Kündigung, eine schwere Diagnose, der Tod eines geliebten Menschen, ja vielleicht sogar irgendetwas, von dem du dich selbst losgesagt hast und jetzt neuen Halt finden musst. Du klaubst dich aus dem Bett und bist sofort mittendrin in diesem Wust aus Schmerz, Dunkelheit und Trauer. Und du kannst nicht glauben, dass dir das schon wieder passiert. Du kennst dieses Gefühl, du weißt auch, dass du es schon einmal überstanden hast. Und dennoch scheint sich alles in dir zu sträuben, da noch einmal durchzumüssen. Es gibt kaum Worte, die deinen Schmerz in diesen Momenten zu lindern vermögen. Ich kenne das. Und doch waren es immer tröstliche Worte, nach denen ich Ausschau hielt. Wann immer ich mit irgendwem über meinen Kummer sprach, hoffte ich insgeheim auf diesen einen Satz, der mir helfen würde, meine Sichtweise wenigstens für einige Minuten zu verändern. Minuten, die in solchen Zeiten eine Welt bedeuten können. Minuten, die uns Kraft schenken könnten, noch einen Tag durchzuhalten. Ich wünsche mir, dass die folgenden Worte das für dich tun.
Ein klischeehafter Vergleich - Der Muskelkater
Sicherlich kennst du den Schmerz eines Muskelkaters, oder? Man hat trainiert, hat sich was zugetraut, man ist an seine Grenzen gegangen. Und nun hat man den Salat. Stimmt’s? Nun, wenn ich Muskelkater habe, dann stört er mich kaum, weil ich weiß…
..woher er kommt und,
..dass er wieder geht und,
..dass dieser Schmerz mich langfristig stärker macht!
Hast du dir schon einmal überlegt, dass Lebenskrisen nichts anderes sind? Egal aus welchem Grund du dich grade fühlst, wie du dich fühlst, solltest du dir die folgenden Fragen stellen:
Woher kommt mein Schmerz?
Wenn du ehrlich zu dir bist, folgt jetzt die Erkenntnis, dass dein Schmerz daherkommt, dass du etwas gewagt hast in diesem Leben. Du hast dich vielleicht getraut, tief und innig zu lieben. Vielleicht hast du von dir aus einen großen Schritt gewagt und bist erschrocken über deine eigene Courage. In jedem dieser Fälle hast du vor allem eines getan. Du hast gelebt!
Weiß ich, dass dieser Schmerz wieder geht?
Nun, wenn du ganz ehrlich zu dir bist, musst du diese Frage mit einem klaren JA beantworten. Und in diesem einen Punkt gebe ich dir sogar ein Versprechen. JA, der Schmerz wird wieder gehen. Er wird selbst dann gehen, wenn du gar nicht wolltest, dass er geht. „Die Zeit heilt alle Wunden“ heißt es und so abgedroschen dieser Spruch auch klingen mag, die Wahrheit dahinter lässt sich nicht leugnen. Anfangs sind es vielleicht nur ein paar Sekunden am Tag, in denen du wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen glaubst. Für einen sehr kurzen Moment kommt da vielleicht sogar ein kurzes inneres Vorfreuen auf. Du spürst und weißt in diesem Moment, dass da noch so viel vor dir liegt, das du jetzt noch nicht sehen kannst. Zu Beginn wird die Trauer und der Kummer überhandnehmen. Immer wieder wirst du für lange Zeit in den Schmerz zurückfallen, doch beruhige dich mit dem Gedanken, dass es hier nur darum geht, durchzuhalten. Die schlechten Phasen werden abnehmen, die guten Phasen werden sich ausdehnen. Morgen fühlst du diese Vorfreude dann schon ganze zwei Minuten und in einigen Wochen wirst du vielleicht schon einige Stunden am Tag in der Lage dazu sein, dich gut zu fühlen. JA, der Schmerz wird vergehen!
Wird mich diese Krise stärker machen?
Ich weiß genau, was du jetzt denkst. Du fühlst dich wie ein verwundeter Soldat inmitten eines Schlachtfeldes und auf deine Frage, wofür das alles gut ist, antwortet der Befehlshaber: „Wenn du das geschafft hast, bekommst du einen Bonbon, Geschmack darfst du dir aussuchen.“ Niemand bei Verstand würde sich gerne verwunden lassen auf feindlichem Terrain, nicht wissend, ob man überlebt mit der Aussicht auf einen Bonbon mit Himbeergeschmack. Meist fühlen sich Krisen zu Beginn genauso an. Die Krise nimmt eine überdimensionale Größe an und der Sinn dahinter scheint uns so nichtssagend, dass wir dankend ablehnen wollen. Aber glaube mir, du wirst den Sinn hinter deiner Krise irgendwann doch sehen und es wird mehr als nur ein Bonbon sein. In diesem Moment deines Lebens magst du glauben, dass das ohnehin keine Rolle spielt. Du willst dich nur endlich wieder besser fühlen. Aber vertraue mir, aus Schmerz erwächst Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass man ohne den Schmerz nicht wüsste, wie wichtig es ist, die kleinen Momente im Leben ausreichend zu schätzen. Die Erkenntnis, dass man selbst irgendwann vielleicht eine gelassenere Sicht auf das Leben haben wird. Die Erkenntnis, dass all das passieren musste, weil etwas viel passenderes auf dem Weg zu uns war. Die Erkenntnis, dass man viel stärker geworden ist und Dinge, die uns gestern noch Angst machten, uns heute nur noch ein müdes Lächeln abringen und das eine kann ich dir sagen. Je weniger Angst du hast, desto freier und offener wirst du dem Leben entgegentreten. Und dann gibt es da noch diese Erkenntnis, dass das Leben nun mal Veränderung ist und das ohnehin jeder da durchmuss…
Ein Jeder muss da durch
Bitte verstehe meine Worte nicht falsch, wenn ich dir jetzt sage: "Du bist nichts Besonderes." Zumindest nicht in diesem Punkt. In diesen Momenten deines Lebens kommt dir alles unsagbar ungerecht vor. Warum du? Du schaust dich vermutlich in deinem Umfeld um und erkennst, dass es allen gut zu gehen scheint. Wieso darfst du dich nicht gut fühlen? Gönne deinen Mitmenschen ihr Glück, denn vor Krisen ist keiner gefeit. Das ist sicher. Nicht ein Mensch auf der Welt wird nicht früher oder später vor einem ähnlichen Trümmerhaufen stehen, wie du jetzt. Es mag viele ungerechte Dinge auf der Welt geben, aber der Schmerz gehört nicht dazu. Man könnte sogar sagen, je größer das Glück desto mehr hat man zu verlieren. Keineswegs möchte ich dich dazu aufrufen zukünftig auf Familienfeiern einem jeden mitzuteilen, dass er auch bald „dran“ ist. Es soll eben nicht darum gehen, anderen ihr Glück zu missgönnen. Die Erkenntnis, dass eben leider alles im Leben der Vergänglichkeit unterworfen ist, sollte uns vielmehr daran erinnern, dass ein jeder zu seiner Zeit durch seine ganz persönliche Krise gehen muss, der eine eben früher, der andere später, der eine häufiger mit 60 km/h, der andere ein- oder zweimal mit 300 km/h.
Die gutgemeinten Ratschläge
Dein Umfeld meint es gut, nicht wahr? Sicherlich kennst du das Gefühl, dass deine Mitmenschen dir in diesen schwierigen Zeiten gerne einen hölzernen, wenig hilfreichen Spruch nach dem anderen an die Stirn heften. „Andere Mütter haben auch schöne Söhne/ Töchter“ oder „bis du verheiratet bist, ist alles wieder gut“ und du denkst dir, mein Gott und was, wenn ich niemals heiraten werde? Kennst du das Gefühl, wenn dein Umfeld manchmal das Empathievermögen einer Holzlatte an den Tag legt und du dich nach solchen gutgemeinten Worten nicht selten noch schlechter fühlst als vorher? Tröste dich, sie meinen es gut. Viele Menschen können sich leider nicht so einfühlen, wie du es dir in diesen Zeiten wünschen würdest. Dafür liegen ihre Qualitäten häufig woanders. Vielleicht sind jene Freunde eben eher die sachlichen Macher, die ohne mit der Wimper zu zucken helfen, dir ein neues Heim zu errichten. Und andere sind einfach gute Zuhörer, die dir die Zeit und den Raum geben, all deinen Kummer vor ihnen abzuladen. Solche Menschen sind von unschätzbarem Wert. Und dann sind da noch jene Menschen, die einfach nur Angst haben, sich zu tief in deine Geschichte einzufühlen. Würden sie nämlich damit anfangen, käme ihnen vielleicht der Gedanke daran, dass auch ihre Errungenschaften keineswegs in Stein gemeißelt sind. Du bist sozusagen die lebendig gewordene Angst, vor der nicht wenige Menschen ihre Augen verschließen wollen. Sei gnädig mit deinen Mitmenschen und merke dir, wo du vielleicht anders reagiert hättest, um im Zweifel so zu reagieren, wie du es dir gewünscht hättest, wenn deine Hilfe gefragt ist.
Die Mär von „Du musst…“
Gleich vorweg, nein, du musst gar nichts. Nicht jetzt. Gewiss wirst du schon bald wieder irgendetwas müssen, aber eben nicht jetzt. Jetzt fällt die Maske. Jetzt kehrt sich dein Innerstes nach außen. Jetzt passt die tägliche Rüstung nicht mehr so ganz, vielleicht ist sie zu eng, vielleicht zu weit. In jedem Fall wirst du sie für die Zukunft anpassen müssen. Zu keiner Zeit in deinem Leben wirst du so sehr gezwungen sein, ehrlich zu dir selbst zu sein, wie jetzt. Natürlich kannst du auf die geheuchelt interessierte Frage eines Bekannten, wie es dir denn geht mit „Gut“ antworten. Aber es wird sich vielleicht zum ersten Mal in deinem Leben wirklich falsch anfühlen. Möglichweise folgen dieser unwahren Antwort ein paar Tränen oder aber du antwortest ehrlich und bist selbst überrascht, was du diesem fast fremden Menschen grade alles erzählt hast. In dieser Phase deines Lebens wirst du schnell bemerken, dass deine gestrigen Überlebensmechanismen im täglichen Trott heute nicht mehr funktionieren. Deine Seele fordert ihren Tribut. Sie will gehört, sie will gesehen werden. Sie will, dass du dich zu ihr bekennst mit allem was dazu gehört. Jede Träne will geweint werden, jeder Wutausbruch gelebt werden. Und genau hier liegt die große Chance einer jeden Krise. Du kannst dich nicht mehr verstecken vor deinen tiefsten Ängsten. Sie wollen überwunden werden. Lange hat deine Seele gewartet, lange sich zurückgehalten. Jetzt ist ihre Zeit. Gib ihr Raum. Schreibe, Singe, Tanze. Tue all das, was dir spontan in den Sinn kommt, so unkonventionell es dir auch erscheinen mag. Entwickle dich. Komme deinem wahren Selbst ein wenig näher und fange wieder an zu staunen.
Womit wir zum letzten Punkt kommen, den ich dir gerne mit auf den Weg geben möchte:
Finde und lebe dein Ventil
Wie schon erwähnt, wird die Tür zu deinem Seelenleben nie offener sein als jetzt. All das, was sich jetzt gut für dich anfühlt, all das, was du jetzt gerne tun würdest, jeder einzelne Impuls, den du jetzt verspürst, bringt dich deinem wahren Selbst etwas näher. Vielleicht bemerkst du, dass das Tanzen dich alles um dich herum vergessen lässt. Vielleicht erkennst du, dass Sport dich mit tiefen Frieden erfüllt. Vielleicht singst du dieser Tage viel und gerne. Vielleicht erkennst du dein Talent zum Schreiben oder Zeichnen. Egal, was es ist. Ordne es niemals dem Geldverdienen unter. Eines der größten Missverständnisse auf dieser Welt scheint mir die Auffassung, dass nur sinnvoll ist, womit sich Geld verdienen lässt. Wie das Wort aber schon sagt, ist das sinnvoll, was dir Sinn gibt. Du würdest vermutlich keine Sportikone werden, aber wenn der Sport dir guttut, hat er seinen Zweck vollends erfüllt. Zu tun, was dir gut tut ist die schönste Liebeserklärung, die du dir machen kannst und die beste Lektion, die du lernen kannst!
© Nicole Schönfeld 2023